„Corporate Senses gehört die Zukunft“

Ein Interview mit Karsten Klepper, Managing Partner von RED Branding, Mitbegründer der NotaSensorik und Keynote Speaker für Multisensorik, geführt von Sabine Wegner, Chefredakteurin im Institut für Multisensorisches Marketing.

S.Wegner: Herr Klepper, Ihr Institut engagiert sich schon seit einigen Jahren für eine integrierte wissenschaftliche Methodik zur multisensualen Markenbildung. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die aktuelle Situation?

Einige Unternehmen engagieren sich bereits im multisensorischen Marketing. Sound Branding, Beduftungen, Geschmacks-Transporter, Oberflächen-Veränderungen etc. sind die ersten Schritte in eine multisensorische Welt. Aber dennoch sind die meisten Ansätze nur Insellösungen und keine ganzheitlichen und integrierten Konzepte. Die Multisensorik ist somit noch ein zartes Pflänzchen, das es zu pflegen und richtig aufzuziehen gilt. Es geht uns als Institut nicht darum, durch eine Marketingaktion ein Produkt oder eine Marke kurzfristig zu inszenieren, sondern um einen grundlegenden multisensorischen Ansatz im Branding. So wie Produkte oder Unternehmen selbstverständlich ein Corporate Design haben, so sehen wir die Zukunft von Marken nicht nur im visuellen, sondern im ganzheitlichen multisensorischen Ansatz: den Corporate Senses.

S.Wegner: Wo sehen Sie ggf. Implementierungsprobleme, auch in der unternehmerischen Praxis?

Vor möglichen Implementierungsproblemen sehe ich zuerst einmal die Herausforderung der richtigen Entwicklung der jeweiligen sensorischen Bereiche bzw. Stimuli. Sind diese gleichgerichtet, dann verstärken sie sich im Idealfall – dies nennt man auch Multisensory Enhancement. Die Herausforderung in der Implementierung ist es, den richtigen „Touchpoint“ zur Zielgruppe mit dem jeweils dafür geeigneten sensorischen Medium zu belegen. Sprich – die größte Aufgabe sehe ich im gustatorischen Bereich – weniger in der Entwicklung als vielmehr in der Findung des geeigneten gustatorischen Transporters, der einerseits zur Marke passt und andererseits das gewünschte Aroma bis zum Schluss hält.

S.Wegner: Wie würden Sie die Vorzüge multisensorischen Branding auf den Punkt bringen?

Multisensorisches Branding richtig entwickelt und angewandt wird ganz klare Vertriebsvorteile bringen. Der Abrieb im Buying Funnel (Markenvierklang) wird sich signifikant verbessern. Ebenso wird es eine schärfere Differenzierung zum Wettbewerb, verbesserte Marken-Erinnerung, sprich einen höheren Brand Recall, einen steigenden Abverkauf sowie eine höhere Marken-Loyalität zur Folge haben. Last but not least wird sich eine Marke zukünftig ganzheitlich besser steuern lassen.

S.Wegner: Sie haben in diesem Kontext auch die Bezeichnung Notasensorik eingeführt und schützen lassen. Was fassen Sie unter diesem Begriff?

Bevor man durch das Interagieren aller Sinne ein Multisensory Enhancement erreicht, müssen alle sensorischen Ebenen zuerst gleichgerichtet, sprich mehrdimensional kongruent sein. Die Notasensorik® beschreibt diesen integrierten und ganzheitlichen Prozess der Ableitung und Zuordnung von Bewertungsmaßstäben für jede Sinnesebene aus den Kernwerten einer Marke. Im Zeitalter der Emotionalisierung und Substituierbarkeit von Marken ermöglicht es die Notasensorik® als Marketinginstrument, eine sowohl eindeutige unverwechselbare als auch differenzierende neue Qualität von Marken zu entwickeln, zu schärfen und zu pflegen. In Kurzform: In Zukunft wird man nicht nur sagen können, welche Farbe z.B. für Innovation steht und wie sich Innovation anhört, sondern auch wie Innovation schmeckt oder riecht. Ja sogar, wie sich Innovation anfühlt.

S.Wegner: Einige Blue Chips haben sich schon früh auf den Weg gemacht, Konsumenten mit allen Sinnen anzusprechen. Wo sehen Sie Nachholbedarf?

Inwiefern ist multisensorisches Branding auch für den Mittelstand vielversprechend? Für uns ist multisensorisches Branding keine Frage der Unternehmensgröße, sondern eine Frage der Markenvision der Unternehmensleitung, verbunden mit dem Verständnis um die Vorteile einer multisensorischen Ausrichtung. Dennoch ist eine sensorische „Komplettausrichtung“ einer Marke nicht immer notwendig und machbar für jedes Unternehmen.

S.Wegner: Bis dato scheint in der werblichen Kommunikation vor allem der prominente visuelle Sinn bedient zu werden. Die Folge: Überflutung mit Bildern. Wie sehen Sie den zukünftigen Stellenwert visueller Werbung vor dem Hintergrund des multisensorischen Marketings?

Die Visualität behält ihren Stellenwert bei, wird aber auf ein anderes Qualitätsniveau gehoben und von den anderen Sinnen gestützt. Marke wird jetzt erlebbar, auch ohne dass man sie „sieht“. Durch das Erleben nicht-visueller Reize (sensorische Trigger wie z.B. Geruch oder Klang) entstehen im Kopf Bilder, was natürlich voraussetzt, zuvor eine Werbung des Unternehmens gesehen zu haben.

S.Wegner: Was wäre beispielsweise Ihre Antwort auf die Frage: Wie klingt ein Energieversorger, der für Leidenschaft steht?

So wie im Design die Farbe Rot eindeutig für „Leidenschaft“ steht, gibt es im Sound Branding Parameter, die Leidenschaft und Energieversorger akustisch codieren. Das ist der integrierte Ansatz der Notasensorik unseres Institutes.

S.Wegner: Sehen Sie eine Abstufung in den Schwierigkeitsgraden bei der Implementierung der verschiedenen Sinne? – Wie schätzen Sie z.B. die Möglichkeiten für verstärkten Einsatz von Düften ein?

Die Chancen für den Durchbruch des Scent Marketings stehen sehr gut. Neben dem akustischen Part wird der Duft als nächster Sinn in den Unternehmen Einzug halten. Erst brachte die Visualität Differenzierung, dann nahm man den Sound hinzu und nun auch den Duft. Die Haptik wird ebenso schnell nachziehen – als letztes wird wohl die Gustatorik etabliert werden.

S.Wegner: Wie synchronisiert man verschiedene Sinne?

Das Zusammenführen und Interagieren der Sinne untereinander beginnt bereits bei der Auswahl des „kleinsten gemeinsamen Nenners“. Haben alle Sinne den gleichen Bezugspunkt – z.B. den Kernwert einer Marke – und sind alle Sinne gleichgerichtet, ist das Synchronisieren der jeweiligen sensorischen Ableitungen miteinander ein Prozess, der mittels sensorischer Anpassungen erfolgt. Es gibt nichts aus der Schublade, alles muss entsprechend der Individualität der Marke und der zu erreichenden Zielgruppe „angepasst“ werden. Auch hier eignet sich die NotaSensorik®.

S.Wegner: Was sind für Sie Best Practice Beispiele für multisensorisches Branding?

Mir ist leider kein einziges Beispiel weltweit bekannt, bei dem alle fünf Sinne aufeinander abgestimmt harmonieren und bereits ein Multisensory Enhancement hervorgebracht haben. Dennoch würde ich den Case der Singapure Airline gerne anführen.

S.Wegner: Wie sehen Sie die weitere Entwicklung für multisensorisches Branding?

Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir hier in absehbarer Zeit erste, sehr gute ganzheitliche und integrierte Cases von progressiven Unternehmen haben werden. Sind diese einmal etabliert und der Erfolg ist nachgewiesen, wird es einen Schneeball-Effekt geben. So wie in den 70er Jahren das Verständnis und die Bereitschaft zur visuellen Differenzierung einer Marke wuchs und das Thema Corporate Identity bzw. Corporate Design eine immer wichtigere Bedeutung erlangte, so sind wir heute an dem Punkt, an dem Unternehmen erkennen, dass die ausschließliche visuelle Abgrenzung keine ausreichende Alleinstellung mehr schafft. Corporate Sound wird immer wichtiger und auch der Bereich des Corporate Scent gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Den Corporate Senses gehört die Zukunft.